Die Reise Nach Petuschki: Ein Poem by Wenedikt Jerofejew

Die Reise Nach Petuschki: Ein Poem by Wenedikt Jerofejew

Autor:Wenedikt Jerofejew [Jerofejew, Wenedikt]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492046596
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2013-01-24T00:00:00+00:00


Kilometer 61 — Kilometer 65

Als erster begann der Dekabrist zu erzählen:

»Ich hatte einen Freund, den ich nie vergessen werde. Er war zwar immer schon irgendwie unberechenbar, doch plötzlich schien der Teufel in ihn gefahren zu sein. Wißt ihr, in wen er sich verrannt hat? In die berühmte sowjetische Harfenistin Olga Erdeli. Vera Dulowa ist zwar auch eine berühmte Harfenistin, aber nein, er muß sich in die Erdeli verrennen. Dabei hat er sie kein einziges Mal im Leben gesehen, nur gehört, wie sie im Radio auf der Harfe klimpert. Mach was dran. Liegt da und steht nicht mehr auf. Arbeitet nichts, lernt nichts, trinkt nichts, raucht nichts, will keine Mädchen sehen und streckt den ganzen Tag den Kopf nicht aus dem Fenster. Her mit der Erdeli und basta. Eine Liebesnacht mit der Erdeli, behauptet er, und ich werde auferstehen. Erst danach fange ich wieder an zu arbeiten und zu lernen, zu rauchen und zu trinken und aus dem Fenster zu schauen.

›Muß es denn unbedingt die Erdeli sein?‹ fragen wir ihn. ›Nimm doch Vera Dulowa. Sie spielt großartige Darauf er: ›Ihr könnt mir gestohlen bleiben mit eurer Vera Dulowa. Der Schlag soll sie treffen, eure Vera Dulowa. Neben die setze ich mich nicht einmal zum .....ßen

hin!‹

Wir sehen schon, der Kleine dreht durch. Nach ein paar Tagen besuchen wir ihn wieder: ›Na, phantasierst du immer noch von Olga Erdeli? Wir haben eine Medizin für dich: wenn du willst, schleppen wir dir morgen die Dulowa an.‹

›Nur zu‹, antwortet er, ›wenn ihr wollt, daß ich eure Vera Dulowa mit einer Harfensaite erwürge, könnt ihr sie herbringen. Ich erwürge sie.‹

Was tun? Der Arme schien langsam seinen Geist aufzugeben. Wir mußten ihn irgendwie retten. Ich machte mich auf den Weg zu Olga Erdeli, um ihr zu erklären, was los war, konnte mich dann aber doch nicht dazu durchringen. Ich wäre fast noch zu Vera Dulowa gegangen, doch nein, dachte ich, der zertritt sie wie ein Veilchen. Und so lief ich abends durch Moskau und war untröstlich. Die sitzen dort und spielen auf ihren Harfen, dachte ich, werden fett und kugelrund dabei, während der arme Kleine langsam zu Schutt und Asche zerfällt.

Da läuft mir so eine Thusnelda über den Weg, nicht besonders alt, aber voll wie eine Haubitze. ›Gib mir einen Rrrubel‹, sagt sie, ›einen Rrrubel!‹ Und da kam mir die Erleuchtung. Ich gab ihr den Rubel und erklärte ihr alles. Sie, die kleine Filzlaus, erwies sich als nicht so begriffsstutzig wie die Erdeli. Damit es überzeugender wirkte, klemmte ich ihr eine Balalaika unter den Arm und schleppte sie zu meinem Freund.

Wir kommen rein - er liegt noch genauso da wie vorher und bläst Trübsal. Ich warf ihm erst die Balalaika zu, direkt von der Schwelle. Und dann ließ ich diese Olga auf ihn los, ich schleuderte sie ihm ins Gesicht... ›Da hast du deine Erdeli! Wenn du's nicht glaubst, frag sie selbst!‹ Und was sehe ich am nächsten Morgen? Sein Fenster ist geöffnet, er schaut raus und raucht leise. Es dauert nicht lange, da fängt er auch wieder an zu arbeiten, zu lernen, zu trinken.



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